Die verabschiedete Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt hätte ein sehr ambitioniertes Gesetz zum Schutz von Frauen vor sexualisierter und digitaler Gewalt sein können - doch Frankreich und Deutschland lehnten die Aufnahme des Artikels zu Vergewaltigung ab und verhinderten eine Mehrheit im EU-Rat.
Damit bleibt es in vielen EU-Ländern bittere Realität, dass Frauen Prellungen oder Würgemale aufweisen müssen, damit Vergewaltigung überhaupt als Straftat geahndet wird. Das ist bedeutsam, denn eine Studie von Avaaz aus dem Jahr 2023 zeigt , dass in nur 0,5 Prozent der Vergewaltigungsfälle in der EU die Täter verurteilt werden – bei 1,8 Millionen Vergewaltigungen in der EU pro Jahr! Es ist inakzeptabel, diese Situation aufrechtzuerhalten. In der neuen Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt verhinderte eine Minderheit der EU- Mitgliedstaaten eine gemeinsame Regelung des Straftatbestands der Vergewaltigung, die Frauen europaweit geschützt hätte.
Mangelhafter Schutz vor Online-Gewalt
Derzeit kann die Veröffentlichung von Nacktbildern oder manipulierten Bildern im Internet oder in Chats gegen den Willen der abgebildeten Person nur dann geahndet werden, wenn die Bilder öffentlich gemacht werden und mit einem erheblichen Schaden zu rechnen ist. Das bedeutet beispielsweise, dass das Teilen von Nacktbildern im Klassen- oder Vereinschat nicht automatisch strafbar ist. Das ist ein Skandal! Der Gesetzgeber hätte ein klares Zeichen zum Schutz von Frauen setzen müssen, insbesondere im Fall manipulierter KI-Bilder. Eine Studie aus dem Jahr 2023 zeigt , dass 98 % aller Deepfake-Videos Pornos ausmachen. Darüber hinaus sind 99 % der Opfer dieser Art von Online-Missbrauch Frauen. Für einzelne Frauen ist der Schaden offensichtlich – für die europäischen Justizminister offenbar nicht. Damit wird eine frauenverachtende Branche weiterhin unterstützt, da Bilder weiterhin nicht automatisch als illegaler Inhalt von Plattformen gelöscht werden müssen.
Auch beim weiteren digitalen Gewaltschutz sind die Ergebnisse frustrierend. Bei Aufstachelung zu Hass und Gewalt gegen Frauen, Cyberstalking und digitaler Belästigung schützt die neue Richtlinie eher die Täter als die Opfer – auch hier muss ein schwerer Schaden nachgewiesen werden. Im Falle von Hassreden und Aufstachelung zu Gewalt gegen Frauen können die Mitgliedstaaten sogar beschließen, das Gesetz nur dann durchzusetzen, wenn die öffentliche Ordnung gestört ist. Damit hat die EU eine große Chance verpasst, ein klares Zeichen an die Täter zu senden und der zunehmenden Gewalt gegen Frauen Einhalt zu gebieten.
Auch die von Grünen/EFA und Europaparlament geforderte Aufstockung der Plätze in Frauenhäusern wurde vom EU-Rat gestoppt. Noch immer haben Frauen keine Gewissheit, im Falle häuslicher Gewalt einen sicheren Zufluchtsort zu finden, geschweige denn in der Nähe ihres Zuhauses.
Die Zahlen zu Gewalt gegen Frauen zeigen deutlich, wie dringend klare Regeln zu ihrem Schutz nötig waren: Nach Angaben der Europäischen Grundrechteagentur (FRA) hat jede dritte Frau in der EU seit ihrer Jugend körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt. Auch Online-Gewalt nimmt deutlich zu und richtet sich insbesondere gegen junge Frauen, Frauen im öffentlichen Leben, Frauen mit Migrationshintergrund und Angehörige der Queer-Community.
Die EU-Institutionen hatten die Richtlinie schon lange debattiert. Der erste von der EU-Kommission vorgelegte Entwurf ging noch viel weiter und sah Vergewaltigung als europäischen Straftatbestand vor. Dieser Entwurf wurde auch von Ursula von der Leyen unterstützt, die in ihrer Rede zur Lage der Nation 2023 sagte: „Ich weiß, dass dieses Haus unseren Vorschlag zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen unterstützt. Auch hier möchte ich, dass wir uns darauf einlassen.“ Gesetz ein weiteres Grundprinzip: Nein, heißt nein. Ohne Gewaltfreiheit kann es keine wahre Gleichheit geben.“
Daraufhin übernahm das Europäische Parlament im Juli 2023 die Position der Europäischen Kommission und sprach sich ebenfalls dafür aus, Vergewaltigung als europäischen Straftatbestand aufzunehmen, verschiedene Formen von Cyber-Gewalt zu verbieten und die Zahl der Plätze in Frauenhäusern zu erhöhen. Viele dieser wichtigen Forderungen wurden vor allem auf Druck der Grünen-Fraktion angenommen.
Allerdings gestalteten sich die Verhandlungen mit dem EU-Rat insbesondere im Hinblick auf die Definition von Vergewaltigung schwierig. Frankreich und Deutschland lehnten die Aufnahme des Vergewaltigungsartikels ab und verhinderten eine Mehrheit im EU-Rat. Marco Buschmann , der deutsche FDP-Bundesjustizminister, und sein Ministerium argumentierten, dass es aus ihrer Sicht keine EU-Rechtsgrundlage gebe. Die Europäische Kommission, der Juristische Dienst des Europäischen Parlaments und verschiedene Rechtsgutachten, etwa die des Deutschen Juristinnenbundes , vertreten eine andere Auffassung.
Dringender Aufruf zum Handeln
Jetzt geht es darum, bei der Umsetzung der Richtlinie in den Mitgliedstaaten viel ambitioniertere nationale Gesetze zu erlassen. Ich hoffe auf eine starke Mobilisierung der Frauenbewegung, insbesondere im Kampf für einen wirksamen Schutz vor der rasant zunehmenden digitalen Gewalt, die insbesondere die Freiheit und Würde junger Frauen in unserer Gesellschaft bedroht und in Frage stellt. Gleiche Rechte bedeuten auch gleiche Sicherheit - und zwar für alle Geschlechter.
Dieser Artikel erschien zuerst hier: eu.boell.org